Kurt Leonhard
Er: mein 'Entdecker', ich: sein Lektor
(Tina Stroheker im Gespräch mit dem Lyriker)
T. S.: Wie schätzen Sie in einer Art Gesamtsicht heute sein Werk ein? Würden Sie einem Urteil wie 'Rückwärtsgewandtheit' zustimmen?
Wenn man das Wort ‚konservativ’ positiv verwenden kann, dann würde ich dieses verwenden, um Mühlbergers Werk von der Sprache und Haltung her zu charakterisieren. Er wollte niemals modern sein. (Nebenbei bemerkt, auch im Äußerlichen nicht, er hob sich niemals heraus.) In 'Verhängnis und Verheißung' wird viel über Literatur gesprochen, und ich meine mich zu erinnern, daß allgemein die zeitgenössische nicht so gut weg kam bei Mühlberger. […]
Für mich als Jüngere war es z.B. so, daß ein wesentlicher Grund für meine Zurückhaltung Josef Mühlberger gegenüber war, solange er noch lebte und ich ihn hätte kennenlernen können, daß er mit dem Etikett 'sudetendeutsch' versehen war, und ich davon meine (sicher falschen) Vorstellungen hatte und vor ihm umso mehr zurückscheute.
Dabei gab es ja gerade auch aus der Gruppe der Sudetendeutschen heftige Angriffe auf ihn, es gab ja innerhalb der Sudetendeutschen auch ganz unterschiedliche Richtungen, und er gehörte auf gar keinen Fall zu den Revanchisten. […]
Haben Sie mit ihm über seine Heimat gesprochen? Ich selbst habe immer bewundert, wie intensiv er sich auf die neue Heimat hat einlassen können. Und gewundert habe ich mich, daß er niemals wieder nach Böhmen heimgereist ist, auch die Mutter niemals dort besucht hat.
Zwischen uns war das alles kaum ein Thema, auch die Ausweisung nicht. Ich weiß da wenig von ihm und kann auch wenig dazu sagen. Natürlich gab es eine enge Gefühlsbeziehung an Böhmen bei Mühlberger. Ich kam ja ganz woanders her, ich bin in Berlin geboren. […] Ganz sicher wollte Mühlberger sich nicht ‚einfangen lassen’ in dieses ausschließlich sudetendeutsche Gebiet, und er hat möglichst viel über anderes geschrieben, das garnichts damit zu tun hatte - etwa die gesamte mediterrane Welt und Kultur, wie in 'Das Ereignis der 3000 Jahre' etwa.
Haben Sie gemeinsame literarische Vorlieben mit Josef Mühlberger gehabt, über die Sie sich ausgetauscht haben?
Ja, das kann man schon sagen. Natürlich Kafka, dann Kleist, Hölderlin und selbstverständlich Thomas Mann. Und für ihn war Rilke wichtig, mit ihm hat er sich immer wieder befaßt. Er hat ein Buch über Kafka geschrieben, das ich lektoriert habe und sehr gut finde – und Kafka ist ja ein außerordentlich moderner Schriftsteller. Mühlberger hat übrigens immer wieder auch Bücher von mir rezensiert, z.B. meine beiden Dante-Bücher. Er hat überhaupt sehr viel rezensiert. […]
Sie haben ja auch 'Im Schatten des Schicksals', Mühlbergers ‚Lebensroman’, wie er es nannte, des Komponisten Tschaikowskij, lektoriert. Wie beurteilen Sie dieses Buch? Ich frage deshalb, weil ich dieses Buch ein außerordentliches finde, auch in der Hochgespanntheit des Anspruches und des stilistischen Pathos.
Es ist außerordentlich, ja, es ist nur die Frage, ob es wirklich der reale Tschaikowskij ist. […] Die Person ist sicher etwas idealisiert - und das macht ja auch garnichts.
Mich interessiert an dem Roman besonders, in welcher Weise Josef Mühlberger hierin über Homosexualität spricht - und sprechen kann. Dabei muß er ja nicht über Mühlberger, sondern kann über Tschaikowskij sprechen: eine Art der Maskierung, eine von ihm mehrfach verwendete Form der literarischen Strategie. Glauben Sie, daß der Zwang, in der Form der Maskierung über Homosexualität, also seine eigene Art zu lieben, sprechen zu müssen, ein Problem für ihn gewesen ist?
Er hat kaum darüber gesprochen, aber es kam manchmal durch. Es war ein ähnliches Problem wie bei Thomas Mann. Dessen Homosexualität ist nur in der Literatur offenbar geworden, dadurch, daß er jugendliche Helden, Knaben bevorzugt hat - etwa in 'Der Tod in Venedig' oder 'Tonio Kröger'. Mühlberger hat sich übrigens keineswegs als 'schuldig' oder so etwas empfunden, glaube ich. […]
Abschließend noch eine Frage zu Ihrer beider persönlicher Beziehung. Würden Sie sagen, daß Mühlberger und Sie miteinander befreundet gewesen waren? Oder war es doch mehr eine Arbeitsbeziehung?
Zeitweise konnte man schon von Freundschaft sprechen. Wir haben uns durchaus auch über Privates unterhalten. Ich war gelegentlich in Holzheim, in Eislingen dann nur ein-, zweimal. Er hat mich anfangs oft bei mir zuhause besucht. Ich habe damals in Rüdern gewohnt, über dem Neckarufer, das war ein Bauernhaus, das der Kirche gehörte und für das ich monatlich dreiundzwanzig Mark bezahlte. Ich habe zwei Kinder gehabt, mit denen er sich sehr gut verstanden hat. Ich kann mich an eine kleine Episode erinnern: Als er einmal da war, im Sommer, da stand das Fenster offen, und es flog eine dicke Hornisse hinein! Die Kinder waren ganz aufgeregt, meine Frau auch - und was macht man? Er blieb ganz ruhig und erbat sich ein Handtuch, und mit großer Geschicklichkeit legte er dieses Handtuch über die 'böse' Hornisse, fing sie ein und ließ sie aus wieder aus dem Fenster hinaus. Man spürte richtig seinen Respekt vor der Kreatur. Es gab auch schöne gemeinsame Erlebnisse, z.B. eine wunderbare Reise nach Paris, meine erste nach dem Kriege, die Mühlberger und ich 1952 mit Otto Wolfgang Bechtle in dessen neuem Auto unternommen haben. Das war eine Reise von drei Freunden.
Franz Peter Künzel
Josef Mühlbergers vorausschauende Ratschläge im Esslinger 'Ratskeller'
„Juni 1968, irgendein Tag in der Monatsmitte, der Zug Stuttgart-Tübingen fuhr mir zu langsam, viel zu langsam, ich wollte möglichst schnell nach Esslingen, dem Sitz der Künstlergilde, aber nicht in deren Geschäftsstelle wollte ich, nein, unser vormaliger (bald auch nachmaliger) Gildenmeister Josef Mühlberger hatte eine „Nachbegegnung“ gewünscht, „bei der jährlichen 'Esslinger Begegnung' der KG ist es zu einem Gespräch mit Ihnen nicht gekommen“, hatte er gesagt, lachend, doch auch lachend vorgebrachte Wünsche oder Bitten des Doktor Mühlberger klangen wie Befehle, ich war erfreut gewesen, ein Gespräch mit diesem still-großartigen Autor der Erzählung ‚Die Knaben und der Fluß’ und des Romans ‚Hus im Konzil’ erbrachte allemal Gewinn, Gewinn an Erkenntnis und Wissen […] Er hatte etwas Väterliches, nein, nicht Väterliches wars, ihn zeichneten eher Bestimmtheit, Haltung, Würde, Edelsinn aus, gepaart mit Diskretion und Abstandhalten, letzteres mitunter überbetont und irritierend, dennoch … […] Ich wurde von ihm, kaum daß er Platz genommen hatte, aber sogleich aufgefordert, die Speisekarte zu studieren, aber noch bevor ich sie aufgeschlagen hatte, sagte er: ‚Also - wie sehen denn Sie den 'Prager Frühling'?’ […]“